Irgendwo zwischen Leben und Tod...

„Erst wenn der Tote bis ins Letzte getötet ist, sieht man den Lebenden, und erst wenn der Lebende gänzlich lebend geworden ist, sieht man den Toten.“ (Bi-Yän-Lu)

Irgendwo zwischen Leben und Tod... wo endet das eine - beginnt das andere, fallen Anfang und Ende in eins? Kann das eine ohne das andere enden oder beginnen? Wie geht die „Rede„ zwischen dem Lebenden und dem Toten? In welcher Welt treffen sich beide? Wer ist wessen Medium?

„Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (Beuys, Düsseldorf 1965) - der Künstler, der Mann mit der goldenen Maske, in heiliger Kommunion mit seinem Totemtier und Verbündeten, dem Hasen... Wo der Menschenverstand scheitert, braucht der Geist des Tieres nur schauen, um zu verstehen. Das Schweigen sagt alles... Ausgeschlossen von der übrigen Menschenwelt, gebannt in die Gegenwart des „Wunderbaren“, wird das Geheimnisvolle nicht aufgebrochen: Das Geheimnis bleibt Ort des Numinosen, des Staunens... Und selbst der Tod zieht hier nicht die Grenze, welche das Lebende vom Nicht-mehr-Lebenden trennen könnte. Beuys und Hase, so scheint es, werden im Ritus des Schamanen zum Gemeinschaftskörper, zu neuem Leben animiert.

„Wie der tote Hase dem toten Beuys den Menschen erklärt“ (Müller, Boston 2004) - der Wissenschaftler mit seinem Werkzeug: Das tote Tier soll des Menschen Medium sein für das Verstehen, die Sichtbarkeit der Welt. Das noch lebendige, das überlebende Auge des schon toten Hasen liefert den digitalen Code, die Daten, aus denen die Bilder der Welt gebaut und gelesen werden - inklusive dem Bild des toten Beuys mit Hasen. Das Auge muss offenbaren, was es sieht. Was aber sieht das körperlose Auge des toten Hasen im künstlichen Licht des Laboratoriums, an diesem Ort ohne Tag, ohne Nacht? Und was sieht der Mensch und erkennt durch das immer geöffnete Auge des Hasen?

Auferstehung oder Fragmentierung? Man kann sich nicht sicher sein, ob der Hase hier, Symbol der Erdgöttin, fruchtbar, voll des Lebens, oder dagegen, wie in manchen Mythologien des Teufels, Bote der Zerstörung ist. Zeigt sich das eine jeweils als die Kehrseite des anderen?

(Thomas Knoefel, März 2004)