E(n)gel

Saugen - Verdauen - Ausscheiden: Wieder und wieder bringt es die Höllenmaschinen in Gang, den Hunger, das Fressen und Schlingen, die Ströme aus Blut und Wasser und Schleim ... pulsierend und windend und saugend und pumpend ... Jede Ordnung macht es zunichte, jeden Ausflug ins Paradies. Mit ihm beginnen alle Geschichten, mit ihm enden sie. Mal erscheint es als Elixier, welches uns Leben zurückgibt, mal als ein Gift, Geschenk an uns, die Einladung, um endlich sterben zu dürfen. So wie das Gift der Schlange Tod oder Heilung verspricht. Immer ist es schon da, dies andere, Fremde, lange schon vor uns, wird es da sein, lange über unser Gastspiel hinaus. Die Exorzismen kommen zu spät; das Fremde bleibt fremd, und die Austreibung verzieht sich ins Lächerliche, noch bevor sie beginnt. Doch nur das Unbegriffene, ohne Hoffnung auf Verstehen Unangreifbare, zeigt uns die Freiheit ... die Freiheit verspielter Chancen. Die Freiheit abzudanken, die Freiheit zu wuchern. Freiheit auf Gottes Erde(n) zu scheißen: Scheiß drauf! Und noch einmal: Freiheit von der Freiheit. Frei zu sein vom Terror des Sich-Findens, des Ursprungs, der Ähnlichkeiten, des Erkennens. Und schließlich die Freiheit vom guten Geschmack.

Messager - angelos, im Griechischen „Engel“: der Bote: Zwischenträger aus der Welt des Unmenschlichen ins Menschliche, unterwegs zwischen Sterblichem und Unsterblichem, zwischen Sein und Nicht-Sein. Der Egel ist der andere Engel, der zum Kriechen (oder Schwimmen, l`ange qui nage) verdammte, der dämonische Gegenspieler Gottes in der Mythologie der Schlange (Egel, griechisch zu échis: Schlange).

Der Bote will fressen, und wir sind sein Wirt. Fraß sind wir, Fleisch und Saft, Nahrung für den Boten, Wegzehrung für den Fresser. Alles wird beißender Ekel jetzt, Brennen und Hitze; die Häute glühen und das Maul schäumt über. Was, wenn bloße Lust die Botschaft ist, mit der das Leben herfällt über das Leben und sich den Bauch vollschlägt, der dicke Leib des Boten? Bote des Rauschens ... die (Zer)Störungen nehmen zu, das Neue beginnt. Der Bote, die Botschaft vermehrt sich. Schaum vom Schaum, Abschaum der Schöpfung (I Mos 3). Nur wachsen oder Sterben. Sonst nichts. Die Welt ist einfach: Anzapfen - Saugen - Abfallen: Zum Platzen voll zeigt sich die Schönheit des Parasiten, die reine Muße - Kontemplation. Ende des Dialogs: Die Sonne wird vom Himmel geholt und zerschlagen. Das Dunkel im Garten des Herrn - Paradies ohne Licht. Wohin man auch hört: Schmatzen und Schweigen ...

Das Lebendigste unter (künftigen) Leichen - schon bald bringt es Wind und Verwesung und feiert Abschied. Noch jedes Schlachtfeld ist gut für eine Mahlzeit, jede Verwüstung deckt den Tisch für ein gieriges Maul. Der Tisch ist gedeckt. Die Mahlzeit kann beginnen, das Tischgebet: „Trink ... trink den Saft meines Besessenseins, meines Lebens, denn Dir schulde ich alles. Alles gebe ich Dir, aber Du gibst mir nichts. Trink das Leuchten meines Körpers, bis zum Ende, trink bis zum letzten Tropfen Licht, bis zum Verrecken nichts bleibt von mir. Erst in der Auszehrung, erst dann bin ich ganz, bist du von meinem Blut, sind wir eins, ein Ganzes, ein Bluten, ein Schwindel, ein Schwanken, ein Kommen und Gehen. Der Wurm, die Schlange, der Drachen. Das Bild verschwimmt und entzieht sich. Mit den Wolken ziehen, leicht und ohne feste Form, ohne eigenen Ort. Überall Unschärfe, Bewegung. Verschwinden und Vergessen. Heiterkeit. Stille.“

(Thomas Knoefel, Freiburg 12.12.2000)

en ←     de